Die wor'n stinkreich
„Jetzt ist die Zeit und Stunde da, wir reisen nach Amerika. Der Wagen steht schon vor der Tür. Mit Weib und Kind, ja da ziehen wir.“
(Aus einem bayerischen Auswanderlied)
Es waren etwa 50.000 Menschen aus Oberfranken, eine Million aus Bayern und sieben Millionen aus ganz Deutschland, die im 19. Jahrhundert ihre Heimat verließen und dem Lockruf „Auf nach Amerika “ folgen. Zwischen 1820 und 1880 stellten die Deutschen das mit Abstand größte Einwandererkontingent. 1854 trafen 328.000 Immigranten im New Yorker Hafen ein, weit über die Hälfte von ihnen Deutsche. Die erste große Auswanderwelle fand etwa zwischen 1850 und 1860 und die zweite zwischen 1880 und 1890 statt. Die Massenauswanderung hatte übrigens einen berühmten Vorgänger: Franz Daniel Pastorius, ein Franke aus Sommerhausen bei Würzburg, wanderte bereits 1683 nach Amerika aus und gründete dort die erste deutsche Siedlung in Nordamerika: Germantown.
Die Ursache für die Massenauswanderung war meistens die blanke Not (Pauperismus), welche die Menschen dazu brachte, ihre Heimat zu verlassen. Hinzu kam 1847 die Anbindung der Auswandererhäfen Bremen und Hamburg an das Eisenbahnnetz sowie das Aufkommen der Dampfschifffahrt, welche das Risiko der Auswanderung und den zeitlichen Aufwand erheblich verringerte. Ferner kamen bald verlockende Briefe von den Erstauswanderern an die Daheimgebliebenen.
Der Autor hat sich auf die Spuren der Nordamerika-Auswanderer aus den Gemeinden Himmelkron, Lanzendorf und Gössenreuth begeben und dabei interessante Details entdeckt. Vor genau 170 Jahren erfolgte die erste offizielle Auswanderung aus dem früheren Klosterdorf, welches Mitte des 19. Jahrhunderts rund 500 Einwohner zählte. Dem Webermeister Georg Zeitler und seiner Ehefrau sollten aus den drei Ortschaften in den nächsten Jahrzehnten noch annähernd 200 weitere Bürger folgen, so zum Beispiel :
Am 20. Oktober 1840 reiste Conrad Adam Zoll, 30 Jahre alt und dessen Ehefrau Anna Barbara, Tochter des Himmelkroner Schuhmachermeisters Pöhlmann Himmelkron mit ihrer 1 ½ jährigen Tochter Margaretha aus.
Mit dem Zahnraddampfer reiste die junge Familie auf dem Mississippi weiter nach New Orleans und am 16.1.1841 weiter nach St. Louis/Illinois. Nach einem vorrübergehenden Aufenthalt in Springfield reiste die Familie zurück nach St. Louis/Illinois - dort war der Himmelkroner schließlich als Gastwirt tätig. Aus der Ehe gingen anschließend noch vier Söhne hervor. Der älteste Sohn, Karl Johann, übernahm die Gastwirtschaft. Seine jüngeren Brüder, Friedrich, Georg und Wilhelm waren erfolgreich im Tabakgeschäft in Jersey City tätig.
Friedrich Schneider, welcher mit ihnen ausgewandert war – arbeitete als Büttnermeister und wohnte in der Nähe. Er hatte die Patenschaft für einen Sohn übernommen.
In der zweiten Auswanderungswelle, reiste der Neffe, Gottfried Zoll ( Aufnahme kurz nach der Hochzeit), geb. am 10.7.1853 in Himmelkron, am 9.2.1883 ebenso nach Amerika aus. Er blieb aber nicht bei seinem Onkel, sondern heiratete am 22.7.1890 in Irvington/Kalifornien die Ida Koboldt, welche vermutlich aus dem Raum Coburg stammte und mit ihm ausgereist war. Der Himmelkroner starb am 11.6.1932 in Los Angeles/Kalifornien. Dort hatte er es als Weinhändler zu einem Vermögen gebracht. Er hinterließ zwei stattliche Häuser in Los Angeles.
Aus der Ehe gingen zwei Kinder, Roy Konrad und Eugene Siegfried hervor. Nach dem Tod der Söhne brach auch hier der Kontakt ab. In einem der letzten Briefe hieß es noch: „Treibt es Euer Hitler nicht etwas zu bunt ?“.
Man schreibt den 19. April 1893 – von Bremen aus sticht die „Elbe“ in See. Kurs: New York. An Bord: 1.250 Passagiere, davon 120 in der ersten Klasse, 130 in der zweiten Klasse und 1.000 in der beengten und weniger komfortablen dritten Klasse.
Unter ihnen: die 19jährige Margarethe Höreth aus Himmelkron und ihre Nachbarin, die 17jährige Margarethe Schwab. An Bord sind noch mehr junge Leute aus Himmelkron und Umgebung, so der 28jährige Adam Pösch mit seiner Freundin und zukünftigen Frau, der 20jährigen Barbara Michel, beide aus Lanzendorf. Aus dem gleichen Dorf ist auch dabei der 29jährige Adam Pöhlmann. Ferner noch die 19jährige Auguste Riedel aus Oberlaitsch und die 35jährige Elisabeth Hereth aus Laitsch.
Margarethe Höreth zog es nach Buffallo am Eriesee im Staate New York. Ihre Verwandtschaft in der alten Heimat - Nachkommen leben noch heute in Himmelkron - vergaß sie nicht. Das Bild zeigt die Amerika-Auswanderin in der Mitte, links und rechts ihre Schwestern, anlässlich eines Besuches in Himmelkron im Jahre 1939. Das Ende dieses letzten Heimataufenthaltes kam überraschend – der 2. Weltkrieg war ausgebrochen, sie musste schnell zurück nach Amerika. Nach 1945 gingen noch mehrere „Care-Pakete“ über den „großen Teich“ nach Himmelkron. Das noch heute lebende Patenkind von Margarethe Höreth, erhielt aus einem „Ami-Stoff“ ihr Konfirmationskleid.
Die bereits erwähnten Lanzendorfer Auswanderer, Adam Pösch und Barbara Michel heirateten am 19. September 1895 in Ash, Monroe/Michigan. Aus der Ehe ging 1902 Gustav Pösch, später nur noch Gus Pösch genannt, hervor.
Dieser Sohn der beiden Auswanderer hatte eine interessanten Werdegang. Zeitlebens beschäftigte er sich mit Garten- und Landschaftsbau. An der Landesuniversität von Ohio wurde er Professor und gründete später mit Fred Gloeckner eine noch heute bestehende Firma in New York. Ferner setzte Gus Poesch mit einem Grundstock von 10.000 Dollar eine Stiftung ein, welche talentierte Studenten unterstützt. Auch diese Stiftung besteht heute noch.
Gus Pösch starb 1993 im gesegneten Alter von 91 Jahren. Unser Bild zeigt ihn im Kreise der Pösch-Verwandschaft in Lanzendorf-Kremitz anlässlich eines Besuches in den 50er Jahren.
Der Autor konnte via Internet den Kontakt zwischen dem Sohn von Gus Pösch, Jon Pösch, wohnhaft in Salt Lake City und den Pösch-Nachfahren aus Lanzendorf-Kremitz herstellen.
Auch aus den noch heute in Himmelkron vorkommenden Familien „Hahn“, „Gewinner“ und „Opel“ reisten mehrere Angehörige nach Nordamerika aus.
Oftmals gab es auch eingeheiratete Verwandtschaft, wie zum Beispiel bei Gewinner-Hahn. So reisten zuerst die Brüder Johann und Wolfgang Gewinner aus. Die Schwester der Auswanderer, Barbara, heiratete dann Wolfgang Hahn. Aus dieser Ehe gingen acht Kinder hervor.
Drei von diesen Kindern reisten als junge Männer ebenso aus. Es waren dies: Christian I., Johann und Ludwig Hahn. Ihr Ziel war wie bei den Erstauswanderern die Stadt St. Louis am Mississippi.
In den Passagierlisten vom 5. 9. 1905 des Dampfschiffes „ Friedrich der Große “ findet man mit der Nummer 2 einen Ludwig Hahn, 14 Jahre alt, welcher mit seinem Onkel John Gewinner in Begleitung seiner Frau Maria und der Tochter Rosa nach Amerika ausreiste. John Gewinner war Inhaber eines Lebensmittelgeschäftes in St. Louis. Im Jahre 1970 endete der Kontakt zwischen den Nachfahren, welche der Kontinent und auch das später auftretenden Hindernis, die Sprache, trennte.
So wie die folgenden Generationen in den Staaten langsam Deutsch verlernten, so wenig konnten früher die älteren hier lebenden Bewohner Englisch.
Als am 18. März 1942, aufgrund der allgemeinen Anordnung des Reichsmarschalls Hermann Göring, die Kirchenglocken abgenommen wurden, entfernte man leider auch die große Glocke der Stiftskirche, welche 1922 von Himmelkroner Amerikaauswanderern gestiftet wurde. Die Inschrift lautete: „ Lobe Zion deinen Gott, Psalm 147, 12 - Gestiftet von Wolfgang, Johannes, Johann Georg Gewinner, St. Louis; Gottfried Zoll, Los Angeles; Ernst Feilner, Buffalo, 1922 , Preis 16.000 M. “. Diese Glocke war Ersatz für die bereits im 1. Weltkrieg abgenommene und eingeschmolzene große Glocke der Stiftskirche Himmelkron. Die Glockenstiftung war Ausdruck der großen Heimatverbundenheit die noch unter den ersten Amerika-Auswanderern verbreitet war.
Noch ungeklärt ist auch das Schicksal der Amerika-Auswanderin Katharina Wolfrum, geboren 1860 in Himmelkron, welche in Buffalo im Staate New York, einen schottisch-stämmigen Millionär heiratete - sie hieß nach der Eheschließung Catherine Ganson. Ihr Mann brachte es nicht nur zum berühmten Congress-Abgeordneten, sondern auch noch zum Inhaber einer Privatbank mit Direktionsposten bei der weltberühmten Reifen-Firma Goodyear. In dieser amerikanischen Stadt am Eriesee ist übrigens eine Straße nach „Ganson“ benannt. Unser zeigt den Himmelkroner Amerika- Besuch bei einem Ausflug nach Berlin mit Chauffeur. Noch in lebhafter Erinnerung der Himmelkroner Verwandten ist das „Geld auswerfen am Bauhof“ - wie bei einer Hochzeit - „die wor´ n stinkreich !“. Einige modische Kleider, welche die reiche Verwandtschaft aus Amerika zurückließ, sind heute noch vorhanden.
Natürlich waren diese Lebensläufe eine Ausnahme. Der „amerikanische Traum“ erfüllte sich nur für wenige. Insbesondere für die ersten Auswanderer war es ein sehr harter Kampf um das Dasein. In den Großstädten des Nordens gab es viele Armenviertel und im Süden herrschten wenige Großgrundbesitzer mit Sklavenhaltung. Der Westen erschloss sich erst später und bedeutete oftmals einen rücksichtslosen Kampf gegen die Natur, insbesondere auch gegen die Indianer. Auch dort entwickelte sich die Zivilisation erst durch den Bau von Eisenbahnlinien.
Nach der Jahrhundertwende gingen die Auswandererzahlen deutlich zurück. Durch den ersten Weltkrieg bedingt, gab es so gut wie keine Auswanderungen mehr. Erst die Nachkriegszeit brachte hier wieder Änderungen: Hungersnot und politisches Chaos prägten den Alltag. Margarete Endreß aus Himmelkron, verließ im Alter von 18 Jahren im Jahre 1927 ihr Elternhaus in Richtung New York. Ein Onkel hatte das Reisegeld nach Des Moines/Iowa, bezahlt. Die geplante Verheiratung mit dem Stiefsohn schlug aber fehlt. Die Himmelkronerin heiratet einen Amerikaner und bekam zwei Kinder. Nach dem plötzlichen Tod des Mannes lernte die noch junge Frau einen Deutschen kennen. Ein unglaublicher Zufall: Andrew Opel alias Andreas Opel stammte aus Himmelkron. Dieser Himmelkroner war nur wenige Jahre vor ihr ausgewandert und hatte als junger Mann schon eine erstaunliche Karriere als Zeitungsmann hinter sich. Margarete Endreß starb schließlich hochbetagt im Dezember 2002 – nach mehrmaligen Besuchen in ihrer alten Heimat Himmelkron.
Vor dem 2. Weltkrieg und auch noch danach verließen viele Deutsche ihre Heimat in Richtung Amerika. Auch heute noch hat das „Land mit den unbegrenzten Möglichkeiten“ eine Anziehungskraft für viele Menschen aller Nationen. Aber dies ist eine andere Geschichte.
Als vor wenigen Monaten der 67jährige US-Botschafter William R. Timken in Kulmbach weilte, wurde dabei auch wieder kurz das Schicksal der vielen deutschen Amerika-Auswanderer des 19. Jahrhunderts wachgerufen: Sein Urgroßvater, ein Bauernsohn aus der Nähe von Bremen, wanderte 1838 nach Nordamerika aus. Heute schätze man, dass fast jeder 6. US-Bürger Wurzeln in Deutschland hat. Somit haben von den rund 300 Millionen US-Bürgern immerhin 50 Millionen eine Vergangenheit in Deutschland.